Aktuelles Interview:
Ein Jahr in der St. Thomasgemeinde

Fragen an den Kantor Tobias Koriath

Auf ein Wort - Ende

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Interviews und Hintergrundinformationen

Wie sehen Sie die Kirche in der Stadt, Herr Dietrich-Zender?
Wie sind Sie eigentlich zur Musik gekommen, Herr Schuchhardt?

Solche und ähnliche Fragen werden ab sofort auf der Internetseite der St. Thomasgemeinde beantwortet. In Hintergrundgesprächen und Interviews nehmen Künstler, Experten und Praktiker Stellung zu aktuellen Fragen. Die Reihe der ab sofort regelmäßigen Interviews begann mit Fragen zu Konzerten im November 2010.
Überblick über die bisherigen Gespräche:

 

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Ein Jahr in der St. Thomasgemeinde

Fragen an den Kantor Tobias Koriath

 

Lieber Herr Koriath, nach einem Jahr Arbeit in Heddernheim: was hat Sie überrascht, was hat Sie gefreut?

Besonders habe ich mich über die Leute gefreut, die dem "neuen Kantor" eine Chance gegeben haben und dazu bei getragen haben (und es auch noch immer tun), dass der Wechsel im Kantorenamt gelingen konnte. Überrascht hat mich z.B. der Abendmahlstisch, die wohlerzogenen Konfirmandinnen und Konfirmanden - und dass der Orgel das hohe g fehlt.

 

Auf welchem Weg sind die Chöre, die Kantorei und die Kinderchöre?

Wir sind wirklich auf einem Weg. Ob er richtig oder falsch ist, lässt sich nach einem Jahr noch nicht sagen. Den Chor, den ich im Bewerbungsverfahren kennengelernt habe, gibt es jetzt schon nicht mehr. Einige haben sich mit Herrn Schuchardt verabschiedet oder mögen meinen Probenstil nicht. Andere sind dazu gekommen und bringen ganz neue Ideen mit. Ähnlich verhält es sich in der Kinderkantorei. Die Chöre brauchen die Unterstützung aller Beteiligten. Nun sind wir auf der Suche nach neuen Mitgliedern, besonders (hohe) Männerstimmen werden benötigt, um eine Balance in Bezug auf Besetzung in der Thomaskantorei herzustellen. Daher hatte ich 2012 schon alle Männer der Gemeinde angeschrieben und hoffe, dass sich noch ein paar finden werden.

 

Welchen Anteil und welche Rolle hat aus Ihrer Sicht die Musik im Gottesdienst?

Vielleicht halten sie mich für verrückt, aber ich behaupte: Musik ist Gottesdienst; und weiter: das Leben ist Gottesdienst. Lesen Sie mal im Kolosserbrief Kapitel 3 ab Vers 16 (ab Vers 18 werde ich etwas nervös). Ich denke, dass wir nicht bestimmen können wann und wo ein Gottesdienst im Leben stattfindet. Bei einem Gottesdienst ist Christus mitten unter uns, und der entscheidet das gerne selbst, wo Er gerade zu sein hat. Der klassische Sonntagsgottesdienst um 10 Uhr ist unser wöchentliches geistiges Fitnessprogramm. Hier wird uns die Schrift ausgelegt und wir haben die Möglichkeit, auf ganz andere Gedanken zu kommen. Außerdem ist es ein verlässlicher Treffpunkt. Und da kommt die Musik ins Spiel. Musik macht das Unhörbare hörbar und kann uns etwas sagen, was in Worten vielleicht (im Moment) nicht gesagt werden kann. Daher muss Kirchenmusik immer an die Grenzen gehen, sie sollte unsere Hörgewohnheiten immer neu reizen. Das geht mit alter und neuer Musik. Nicht immer verständlich, manchmal auch anstrengend: das gehört eben zu einem Fitnessprogramm dazu. Damit man auch einen Trainingserfolg sieht, muss man es natürlich regelmäßig hören und erleben, da man sonst vielleicht schnell überfordert wird, und dann mit Muskelkater in den Ohren rechnen muss. – Mit dem Segen werden wir in den eigentlichen Gottesdienst entlassen. Und der passiert bei einem Kirchenmusiker z.B. in den Chorproben, beim Orgelüben, bei Honorarauszahlungen oder auch beim Bier nach der Chorprobe in kleiner Runde.

 

Sie haben einige besondere Konzerte veranstaltet, ich erinnere nur an die Lettner-Passion von Ohse und das konstruierte Requiem von JS Bach – wie war die Resonanz?

Es ist wunderbar, dass das Publikum die Werke gut aufgenommen hat. Wenn man solche Werke wagt, steht man natürlich schnell in der Kritik und die Gefahr ist, dass der Chor und die Zuhörer sich nicht auf die Musik einlassen. Besonders die europäische Erstaufführung des Bach-Requiems nach einer Idee von F. Panneton war ein besonderes Erlebnis. Natürlich hat diese Zusammenstellung ihre Schwächen, da es Bach nicht selbst gemacht hat. Dieses Projekt hat uns auch gezeigt, wie einzigartig die originalen Kompositionen von Bach sind, und wir haben Kantatensätze musiziert, die wir sonst vielleicht nie gesungen hätten.

 


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Welche Ziele haben Sie für das kommende Jahr, auf was können wir uns als Konzertbesucher freuen?

Auch das Jahr 2013 bietet ein außergewöhnliches Programm für Sänger/innen und Publikum. In der Passionszeit erklingen "Die sieben Worte" von Charles Gounod. Im Sommer führen wir neben dem berühmten Te Deum von Mozart die Missa solemnis von J. Vanhal auf; ein böhmischer Komponist an der Wende zum 19. Jahrhundert voller Überraschungen. Am Ewigkeitssonntag erklingt das erste Mal in Frankfurt die Kantate "Zeit und Ewigkeit" von J. G. Naumann. Naumann gilt als letzter Repräsentant der italienischen Oper in Deutschland. Er war einer der bedeutendsten Musikerpersönlichkeiten Dresdens. – Der Nachwuchs wird besonders im vokalen Bereich weiter intensiv geschult um auf lange Sicht das Überleben von Chören zu sichern.

Fragen: Oliver Ramonat
© 2013

 

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Ein Staubsauger, eine Orgel und alle "nicht ganz dicht" – ein besonderes Konzert in der Pfingstnacht

Fragen an den Kantor Tobias Koriath zum Konzert in der Pfingstnacht, 26. Mai 2012, 22 Uhr in der Thomaskirche (Eintritt frei)

 

Sehr geehrter Herr Koriath, das Konzert findet zu einer ungewöhnlichen Uhrzeit statt – warum?

Pfingsten wird als der Geburtstag der Kirche bezeichnet. Trotzdem fällt es weit hinter die anderen großen Feste Ostern und Weihnachten zurück und wird oft nur noch im Zusammenhang mit Ferien und Ausflügen wahrgenommen. Die Christmette und Osternacht sind wichtige Feiern im Kirchenjahr. Die Pfingstnacht in der Thomaskirche bietet nun die Möglichkeit, Pfingsten neu zu entdecken. Wenn es dunkel ist, bietet die Thomaskirche eine ganz besondere Atmosphäre für diese Veranstaltung.

 

Wie lange wird das Konzert dauern?

Die Pfingstnacht ist nicht nur ein Konzert, es werden auch Texte, Gedichte und Gebete gesprochen. Die Veranstaltung dauert ca. 1 Stunde.

 

Auch die Kombination von Orgel und Saxophon erscheint nicht ganz alltäglich. Was macht eine solche klangliche Verbindung attraktiv?

Orgel und Saxophon sind wirklich „pfingstliche“ Instrumente. Wind und Atem sind beides Symbole für den Heiligen Geist. Die Pfeifen der Orgel werden durch Wind zum Klingen gebracht – und der Saxophonspieler bringt mit seinem Atem das Instrument zum Schwingen. Beide Instrumente sin klassische Instrumente für die Improvisationskunst und eigenen sich für experimentelle Musikformen. Auf dem Programm stehen neben der großen Bachchoralbearbeitung „Komm Heiliger Geist“ freie Improvisationen über Pfingstlieder.

 

Sie haben mir gesagt, dass Sie den Kirchenraum und seine Akustik einbeziehen wollen. Was hat man sich darunter vorzustellen?

Die Texte werden aus unterschiedlichen Positionen von ehrenamtlichen Lektorinnen gelesen. Das Pfingstevangelium wird im Kanon vorgetragen, so dass eine „Klangsprechwolke“ entsteht. Einige Wörter und Sätze verschwimmen im Raum, andere bekommen eine ganz besondere Betonung.

 

Das Konzert soll uns in das Pfingstfest begleiten. Welche theologischen oder spirituellen Einsichten können die Zuhörer an diesem Samstag gewinnen?

Eine besondere Improvisation wird es geben, nämlich für Staubsauger und Orgel. Das Stück ist mir während einer Putzaktion der Küsterin an meiner früheren Stelle in Offenbach eingefallen. Während ich Orgel übte, schaltete sie den Staubsauger ein. Ich begann, den „Staubsaugersound“ mitzuspielen und entdeckte, dass sich auf der Orgel Klänge bilden lassen, die sich mit diesem Sound der Maschine verbinden, ihn verstärken oder abschwächen. Der Staubsauger störte plötzlich nicht mehr, sondern wurde Teil der Musik.

Mir gefällt die Idee, dass Gottes Geist wie ein Staubsauger wirkt, und den Staub von unseren Seelen aufsaugt. Gottes Geist haben, heißt für mich nicht, begeistert von irgendetwas zu sein, sondern eher eine Form von Vitalität. Das ist schwierig in Worte zu fassen, das geht mit Tönen besser.

Pfingsten, die Pfingstgeschichte ist ein wenig schräg, nicht greifbar, offen für Experimente und neue Klangerfahrungen. Pfingsten lädt uns ein, „nicht ganz dicht zu sein“. Den Jüngern wurde beim Pfingsterlebnis ja immerhin auch vorgeworfen „voll des süßen Weines“ zu sein.

 

Fragen: Oliver Ramonat
© 2012

 

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Wie sind Sie eigentlich zur Musik gekommen, Herr Schuchhardt?

Zum Jahreswechsel 2011/2012 geht der Kantor Ernst-Wilhelm Schuchhardt in den Ruhestand. Als eine Art von persönlichem Rückblick haben wir aus diesem Anlass Ende August 2011 dieses Interview geführt.

Sehr geehrter Herr Schuchhardt, wie sind Sie eigentlich zur Musik gekommen?

Kurz gesagt durch Elternhaus und Schule. Als Pfarrerssohn bin ich in kirchlichen Kreisen aufgewachsen und habe mich immer in kirchlichen Kreisen bewegt. Dabei ging es auch immer um Musik, das war gar nicht wegzudenken. Mit 8 Jahren habe ich mit Klavier angefangen und sowieso in unserer Gemeinde im Kinderchor gesungen. Solche Erfahrungen wirken ganz offenbar lange nach: Klavier und Orgel und die Chormusik sind bis heute meine Schwerpunkte.

 

Wann wurde aus diesen Erfahrungen ein konkreter Berufswunsch?

Ich hatte schon in der Jugend immer Zugang zu Kirchenorgeln und habe bald angefangen, darauf zu spielen. Dieses Instrument übt ja mit seinen Variationsmöglichkeiten und seiner ungeheuren klanglichen Dynamik – mit einem einzigen Ton können Sie einen ganzen Kirchenraum füllen – eine große Faszination aus. Während der Schulzeit habe ich mir Taschengeld mit Orgelspielen verdient. Das war in einer ländlichen Gegend rund um Melsungen und ging sozusagen auf dem kleinen Dienstweg. Die Leute waren zufrieden, da musste ich keinen Orgel-Schein vorzeigen oder so etwas. Ich spielte dann schließlich Trompete und Orgel und sang immer in Chören, keineswegs nur in Kirchenchören. Der Berufswunsch Kirchenmusiker, um auf Ihre Frage zu kommen, hat sich später und allmählich entwickelt. Ich habe mir ganz ehrlich auch die Aufnahmeprüfung an die Musikhochschule, die schon damals (wie es ja auch nicht anders sein kann) schwer und extrem selektiv war, nicht von vornherein zugetraut. Offen gestanden habe ich dann aber nichts Besseres für mich gewusst und mit 20 Jahren die Aufnahmeprüfung gemacht und Gott sei Dank auch bestanden – hier in Frankfurt an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst übrigens.

 

Gab es auf dem Weg dahin ein entscheidendes Bildungserlebnis, ein Vorbild?

Da denke ich zuallererst an meinen besonderen, charismatischen Musiklehrer, das Elternhaus hatte ich ja zuvor schon genannt. Mein Musiklehrer war, das kann ich im Nachhinein uneingeschränkt sagen, die prägende Figur für mich, von ihm habe ich alles gelernt. Wie ich heute mit der Thomaskantorei in unserer Gemeinde probe, das ist vom Stil her und von der Art, wie ich vor den Leuten stehe, genau so, wie mein Musiklehrer damals vor uns gestanden und mit uns geprobt hat. – Im Grunde war ich also doch sehr gut auf das Studium vorbereitet…

 

Zu welcher Studentengruppe gehörten Sie damals? – Wir wollen nicht vergessen, dass es die heiße Phase der Studentenbewegung und der sogenannten "68er" war, als Sie studiert haben.

Das stimmt, ich selber gehörte allerdings keiner politischen Gruppierung an. Aber meine Freunde und mein unmittelbares Umfeld waren durchaus hoch politisiert. Ich habe das also schon live mitbekommen. Wir Musikstudenten hatten – auch wenn das vielleicht komisch klingt – zu viel zu tun, um uns allzu rege politisch zu betätigen. Wir haben alle durch die Bank neben unseren Veranstaltungen in den bis zu 20 Fächern noch 8 Stunden am Tag üben müssen, da blieb wenig Zeit übrig. Kirchenmusik ist ein unglaublich umfangreiches Studium, liturgisches Orgelspiel, Orgelspiel nach der Literatur, das gesamte Grundstudium der Stimm- und Gehörbildung natürlich sowieso, Tonsatz, Orchesterleitung, Chorleitung, Liturgik, Gregorianik, Musikgeschichte, nebenbei bin ich damals noch staatlich geprüfter Klavier- und Orgelpädagoge geworden, und so weiter. Das ist alles faszinierend und erfüllend, aber eben auch anstrengend und zeitraubend. Natürlich haben mich die 1960er-Jahre irgendwo geprägt, aber aktiv beteiligt war ich daran nicht.

 


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Welche Lehrer an der Hochschule haben Sie besonders geprägt?

Mein Schwerpunkt war auch dort und damals die Chorarbeit. Mein Lehrer in diesem Fach war Helmuth Rilling, der – das darf man bei diesem Mann wirklich sagen – berühmte Helmuth Rilling. Das meiste habe ich mir wie gesagt bei meinem Musiklehrer abgucken können, aber den professionelle Schliff und die Routine habe ich bei Rilling erhalten, wenn Sie so wollen. Daneben denke ich an meinen Lehrer im liturgischen Orgelspiel, den blinden Organisten Karl Köhler – übrigens ein Heddernheimer. Er hat mich noch bis vor wenigen Jahren an der Orgel vertreten. Vielleicht noch ein Wort zum Liturgischen Orgelspiel, das weiß vielleicht nicht jeder. Es entspricht dem improvisierten Spiel, zum Beispiel über eine bekannte Melodie. Hier lernt man auch, die Einleitungen zu den Kirchenliedern frei und je nach dem Zweck zu gestalten – das geht also, wenn man es gut kann, über das bloße Abspielen irgendwelcher Noten weit hinaus.

 

Im Jahre 1972 kamen Sie dann als junger Mensch, mit nur 26 Jahren, an die Thomasgemeinde…

Richtig. Mein Studium dauerte letztendlich 9 Semester, dann machte mich mein Orgellehrer Karl Köhler auf die Stelle hier in Heddernheim aufmerksam. Die Stelle war frei geworden, als ich noch studierte und ich bin dann direkt von der Uni nach Heddernheim an die Thomasgemeinde.

 

Was waren denn Ihre ersten Eindrücke? Erinnern Sie sich noch?

Das war zunächst einmal eine ganz normale "kleine" Stelle, mit kleinem Kirchenchor und einem Kinderchor, die ich beide von meiner Vorgängerin übernahm. Damals gab es zwei Pfarrer, von denen der eine, Pfarrer Kirmes, aber schon schwer erkrankt war, als ich die Stelle antrat. Ich habe schließlich am meisten mit dem Pfarrer Kurt Davidson und Herrn Freidhof zu tun gehabt. – Das war also mein Start an der Thomasgemeinde…

 

Wie ging es dann unmittelbar weiter? Wie gestaltete sich die konkrete Arbeit?

Das war anfangs nicht immer nur einfach. Ich habe, wie erwähnt, einen recht einfachen Kirchenchor übernommen, der, das muss man offen sagen, auch keine besonderen musikalischen Ambitionen hatte. Und dieser Chor stagnierte zunächst, die Mitgliederzahl sank sogar. So, da stand ich nun da. – Erst ein paar Jahre später konnte ich dann Leute direkt ansprechen, die hier in Heddernheim mitsangen, die immer wieder kamen und sich engagierten – und die Sache kam schließlich in Schwung. Jetzt hatte ich die Grundlage, um endlich so zu arbeiten, wie ich es eigentlich wollte. Jetzt endlich gab es Chorproben über das normale und übliche Maß hinaus, jetzt gab es Probenwochenenden und "große" Projekte – kurz: es entstand die Thomaskantorei, wie wir sie noch heute kennen. Nach vollen vier Jahren Warte- und Vorbereitungszeit zündete das geradezu plötzlich und wurde zu dem, was es bis heute ist. Das war für mich die Wende nach durchaus schwierigen Anfangsjahren. Ich glaube auch nicht, dass ich hier auf Dauer geblieben wäre, wenn es diese Wende damals nicht gegeben hätte. Für mich ist Berufliches und Privates nie so recht getrennt gewesen, diese positive Entwicklung war also eminent wichtig.

 

Sie haben, das Studium inklusive, mehr als 5 Jahrzehnte Entwicklung in der Kirchenmusik als aus professioneller und gestaltender Perspektive mitbekommen. Welche Wandlungen haben Sie beobachtet?

Nun, ich kriege da nicht so viel mit, wie Sie vielleicht meinen; ich mache hier vor Ort ja eine sehr konkrete Arbeit. Aber eine Sache ist doch zu nennen, an der ich auch selbst aktiv beteiligt war, das Aufkommen der neuen Lieder meine ich. Das war in der 1970er-Jahren ein regelrechter Boom, ein Trend, vor allem im Zusammenhang mit dem Kirchentag in Frankfurt am Main im Jahre 1975. Seitdem gibt es eine Fülle neuer Lieder, die dann auch in die neuen Liederbücher aufgenommen wurden. Ich habe das damals aktiv aufgegriffen, aber ich weiß, dass nicht alle meine Kollegen da so offen waren. Ein anderer Trend war der zu Popularmusik im Gottesdienst und überhaupt in kirchlichen Zusammenhängen.


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Nach meinem Eindruck blüht die Kirchenmusik in den letzten 15 Jahren entschieden auf, der Wert der Musik innerhalb der Gesamtkirche steigt und findet immer mehr Anerkennung auch bei offiziellen Kirchenvertretern und Leitungsgremien. Musik, gerade auch geistliche Musik, spricht auch kirchenferne Menschen an, und sie spricht sie direkt an. Wenn Sie sich als Chorsänger mit einem gesungenen Bibeltext oder – wie in den Kantaten Bachs – einer gesungenen Predigt oder Meditation beschäftigen, dann rücken Ihnen auch die Inhalte nahe. Das geht sozusagen gar nicht anders. Musik ist also nichts Geringeres als ein Medium der Verkündigung.

 

Welche Rolle spielt die Musik für die Liturgie?

Die Musik ist – von mir als Kirchenmusiker haben Sie eine solche Antwort erwartet – ein wichtiger Faktor, ein tragendes Element des Gottesdienstes. Kirchenmusik ist ein wichtiges und wesentliches Element der christlichen Verkündigung, wenn Sie so wollen. Sie ist nicht grundlos am "Zentrum Verkündigung" unserer Landeskirche hier in Frankfurt organisatorisch verankert. Wenn Sie Musik über biblische Texte hören oder gar selber singen, das geht tiefer, als wenn Sie bloß darüber reden, hören oder diskutieren. Wenn man geistliche Texte musikalisch darstellt, dann kennt man die Inhalte. Wenn zum Beispiel die Konfirmanden Psalmen singen oder als Rap aufführen, dann kennen sie diese Texte auswendig – ich würde behaupten, sie kennen sie ein Leben lang.

 

Und im Gottesdienst im engeren Sinne, welche Rolle spielt da die Musik?

Der Gottesdienst wird durch Musik geprägt. Der Kantor, wenn er sein Metier beherrscht, gestaltet seinen Part selbst, er ist keineswegs nur das – wenn ich das so sagen darf – ‚ausführende Organ' des Pfarrers oder der Pfarrerin. Er (oder sie) ist auch nicht nur so etwas wie ein Orgelspieler, nein, ein ausgebildeter Kantor hat viel mehr Kompetenzen. Ich will Ihnen ein Beispiel aus meiner Praxis sagen, das vielleicht niemandem so recht auffällt, dennoch gehört es für mich zum professionellen Anspruch. Es geht um die Vorspiele, mit denen die Lieder im Gottesdienst eingeleitet werden. Manchmal denkt man sich etwas aus oder greift auf ein bestehendes Vorspiel zurück – und stellt aber fest, dass es nicht zu der Stimmung passt, die beispielsweise nach der Predigt herrscht. Man hatte sich ein flottes, munteres, vielleicht sogar etwas längeres Vorspiel überlegt, um die Gemeinde nach der Predigt wieder "abzuholen", und jetzt herrscht in der Kirche eine eher meditative Stimmung. Da muss man dann improvisieren und blitzschnell ein völlig anderes, neues, eher nachdenklich-kontemplatives Vorspiel aus dem Hut zaubern. Das geht nur mit einer grundständigen, gediegenen Ausbildung und viel Routine, Praxis und – na ja, eben Freude an der eigenen Gestaltung beim Gottesdienst.

 

In meiner Jugend, wenn ich das einflechten darf, wurden gerade die Bach-Kantaten in ihrer Gesamtheit wiederentdeckt. Als Jugendlicher kaufte ich mir die Neueinspielung sämtlicher Kantaten unter Helmuth Rilling – auf 100 LPs, eine echte Pioniertat war das damals. Heute sind die Gesamteinspielungen der Kantaten kaum noch zu überblicken, so ändern sich die Zeiten. – Das führt mich zu der Frage, ob nicht Musik, auch bekannte Werke, immer wieder neu entdeckt werden muss? Welche Musik entdecken Sie immer wieder neu?

Sie haben mit Ihrer Beobachtung recht, alles muss immer wieder neu entdeckt werden, sogar so etwas wie die Kantaten Bachs. Das ist das Interessante daran, alles wandelt sich ständig. Es sind ja auch immer wieder neue Menschen, und auch wir ändern uns. So geht es mir auch mit meinen eigenen Produktionen, die mir beim Wiederhören nach einigen Jahren zum Teil regelrecht seltsam, ja fremd vorkommen. Wenn ich dann ein Stück neu einstudiere, wird es signifikant anders als zuvor, und das nicht zufällig, sondern eben notwendig und bewusst. Auch entdeckt man ständig neue Details, wenn man sich die im Grunde ja gleichen Noten wieder und wieder neu zu eigen macht. Mit der Kantorei studiere ich bald das Weihnachtsoratorium von Bach ein und bereite mich im Moment darauf intensiv vor – und ich entdecke laufend Neues. Man lernt nie aus und die Musik, die Werke sind grundsätzlich unerschöpflich.

 

Wo wir gerade von Bachs Kantaten sprechen: Was glauben Sie, in welcher Qualität wurde damals unter dem Kantor Bach in der Leipziger Thomaskirche von Woche zu Woche gespielt? Immerhin musste von Sonntag zu Sonntag, in nur einer Woche, eine ganze Kantate komponiert, die Stimmen ausgeschrieben und geprobt werden…

Da maße ich mir kein Urteil an, selbst die Fachleute auf diesem Gebiet kommen zu konträren Ansichten. Die einen meinen, das seien recht einfache und nach heutigen Perfektionsmaßstäben eher bescheidene Aufführungen gewesen. Die anderen glauben an ein durchweg sehr hohes Niveau, denn die Menschen hätten damals viel mehr Zeit und die Musiker durch die kontinuierliche Beschäftigung mit der Materie eine unglaubliche Routine gehabt. – Eine interessante Frage also, aber ich weiß es nicht. Nur eines weiß ich: Auch wenn manches einfach klingt, Bach ist immer schwer, Bach ist immer das Schwerste und Aufregendste. Mit den Bachkantaten, das war ja unser Beispiel, wird man jedenfalls nie fertig.

 

Die Fragen stellte Oliver Ramonat
© 2011

 

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Was bedeutet Mozart für die Kirchenmusik,
Herr Schuchhardt?

Johann Sebastian Bach, "Wachet! Betet!", BWV 70
Wolfgang Amadeus Mozart, Requiem, KV 626

Fragen an Ernst-Wilhelm Schuchardt, Kantor St. Thomas aus Anlass der Konzerte der Thomaskantorei am 20. November 2010 in der Heilig-Kreuz-Kirche (F-Bornheim) und am 21. November 2010 in der St. Thomaskirche

 

Sehr geehrter Herr Schuchhardt, in dem Konzert kombinieren Sie die Bachkantate BWV 70 „Wachet! Betet!“ mit dem Requiem von Mozart. Welche musikalischen und inhaltlichen Parallelen sehen Sie? Was hat Sie überhaupt bewogen, diese Werke zu kombinieren?

Nun, zunächst einmal ist Mozarts Requiem mit nur 50 Minuten kein abendfüllendes Stück. Es wird also in aller Regel kombiniert, und da bietet sich für uns als Kirchenchor, mit den spezifischen Möglichkeiten, die ich hier habe, eine Bachkantate an. Es gibt zu dieser speziellen Kantate BWV 70 auch eine inhaltliche Verbindung. Das Requiem und die Kantate stehen von ihren theologischen Aussagen am Ende des Kirchenjahres, dennoch ergibt sich eine gewisse Spannung, ja ein Kontrast zwischen dem Totengedenken des Requiem und dem Aufruf an die Lebenden in der sozusagen dezidiert „evangelischen“ Kantate Bachs.

 

Kannte Mozart Bachs Musik? Soweit ich weiß, war die Barockmusik damals – und noch bis zu ihrer Wiederentdeckung in der Romantik – nicht sehr hoch im Kurs. Gibt es da dennoch eine Verbindung?

Sie haben Recht, dass Bachs Musik zunächst tatsächlich in der Versenkung verschwunden war. Aber das galt nicht für die Komponisten, die Profi-Musiker selbst. Auch Mozart hat Bachs Musik intensiv studiert und selber viele Fugen geschrieben und in seine Stücke, gerade auch die Symphonien, eingeschrieben. Das „Kyrie“ im Requiem ist eine echte Fuge; sie ist ohne Bach überhaupt nicht denkbar.

 

Das „Requiem“ entfaltet – so empfinde ich es – von der ersten Note an, von der Spannung dieser sich auflösenden Sekunde an, eine schier unglaubliche suggestive Kraft. Wie nähern Sie sich einem solchen Werk?

Ich empfinde natürlich auch die besondere Atmosphäre, die dieses Werk von der ersten Minute an schafft. Allerdings würde ich das eher auf die besondere Instrumentierung mit tiefen Bläsern schieben. Der Part wird von tiefen Klarinetten übernommen und ist in der Tat eindrucksvoll. Ich selber beschäftige mich natürlich intensiv mit der Partitur; wenn wir zur Generalprobe das Orchester dabei haben, dann muss alles sitzen. Aber ich habe keine besondere Technik, auf ein solches Stück zuzugehen, da geschieht viel aus dem musikalischen Gefühl heraus.

 

Ist das Ihre erste Auseinandersetzung mit Mozarts Requiem? Welche Interpretation hat Sie besonders inspiriert?

Es ist die dritte Aufführung, die letzte gab es 2002. Eine spezielle Einspielung, wenn Sie das meinen, habe ich jetzt nicht angehört oder zur Grundlage gemacht. Ich habe unsere eigene von 2002 verwendet – und auch gesehen, wie viel wir diesmal anders machen wollen.

 

Das Requiem ist ja als „Werk“ nicht ganz unumstritten, Mozart konnte es jedenfalls selbst nicht mehr vollenden. Welche Rolle spielt diese Geschichte für Ihre Interpretation?

Es gibt, das ist allgemein bekannt, verschiedene Fassungen des Stückes. Wir verwenden die traditionelle Fassung, die Mozarts Schüler Franz Xaver Süßmayr ergänzt hat. Aber auch in dieser simplen Geschichte stecken bestimmt schon wieder Legenden. Wie auch immer, diese Fassung ist in sich überzeugend, in sich ‚rund’, auch wenn man an den Sätzen, die Süßmayr komplett alleine gestaltet hat, einen gewissen Abfall der Komplexität der Komposition feststellen kann.

 

Mozart der Feuerkopf und Lebemann – und dann ein solch mystisches Werk. Mit welchen anderen Werken Mozarts lässt sich das Requiem vergleichen?

Der Legende nach ist es ja der krönende Abschluss, mit dem er auch seinem Leben ein Ende setzte. Allein – als er die Komposition begann bzw. den Auftrag dazu erhielt, konnte er wohl kaum wissen, dass es sein letztes Werk würde. Dennoch hat es – und das ist das manchmal paradoxe an solchen Erfindungen – durchaus seine Berechtigung, und ist es deswegen auch sozusagen ‚wahr’, dass es sich um den krönenden Abschluss eines durch und durch bewundernswerten Lebenswerkes handelt. Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass wir beim Komponisten des Requiem über einen 35-jährigen, jungen Mann sprechen!

 

Es ist erneut ein riesiges Programm und ein sehr bekanntes Stück, das Sie sich zusammen mit der Thomaskantorei vorgenommen haben. Was zeichnet diesen Chor aus, dass er solchen Aufgaben gewachsen ist?

Die Thomaskantorei hier in Heddernheim zeichnet sich durch eine intensive und auch zeitintensive Probenarbeit aus. Und nur, weil wir so kontinuierlich zusammenarbeiten, können wir uns mit solchen Werken beschäftigen. Das ist ein wichtiger Aspekt. – Ich darf vielleicht aber doch noch etwas aus Ihrer Frage geraderücken: Ungeachtet der musikalischen Wirkung, der man sich auch nach dem 100. Mal hören nicht entziehen kann, ist das Requiem innerhalb der Oratorien kein wirklich ‚schweres’ Werk. Klar, es muss gut gemacht werden und es ist eine Herausforderung – aber es gibt deutlich schwerere, komplexere Stücke. Für einen Chor ist z. B. die ‚Matthäus-Passion’ von Bach oder auch der ‚Elias’ Mendelssohns deutlich anspruchsvoller. Oder ich denke auch an die a capella-Programme, die Programme ohne Orchester, die sind für die Kantorei deutlich schwerer. Aber verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Wir wollen es richtig gut machen und wir haben uns natürlich intensiv auf das Konzert vorbereitet. Es soll ein besonderes Konzerterlebnis werden.

Die Fragen stellte Oliver Ramonat, Frankfurt/M.
© 2010

 

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Was will uns Paulus sagen, Frau Fröhlich? –
Ein Gespräch zur Jahreslosung 2011.

"Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem."
Paulus Brief an die Römer 12,21

Fragen an die Pfarrerin Sabine Fröhlich zur Jahreslosung 2011

 

Sehr geehrte Frau Pfarrerin Fröhlich, wie kann uns das Böse überwinden? Vor was will Paulus uns warnen?

Zu allererst will uns Paulus vor uns selbst warnen. – Das Böse ist für ihn ein verkehrter Sinn, eine verkehrte Lebenshaltung, aus der heraus Menschen ihre Beziehungen zu den anderen Menschen verletzten oder sogar zerstören. Am Anfang seines Briefes an die Gemeinde in Rom zählt Paulus eine lange Liste solcher verkehrter Lebenshaltungen auf, um all diejenigen Menschen zu beschreiben, die Gott nicht erkennen und sich Gottes befreiender Botschaft verschließen. Ungerechtigkeit, Habgier, Bosheit, Neid, Hader, Niedertracht, Prahlerei, Treu- und Lieblosigkeit sind nur einige Haltungen in dieser langen Liste. Paulus, der sich als Verkünder einen noch kleinen, verletzlichen Gemeinschaft von Jesus-Anhängern aus der Position der Schwäche heraus gegenüber einer Übermacht an griechischen Kulten und in einer harten inner-jüdischen Auseinandersetzung behaupten muss, argumentiert folgendermaßen: Gott selbst hat die Heiden dahingegeben in verkehrten Sinn, um allen zu zeigen, dass Gerechtigkeit und aufrechter Sinn von Gott alleine herkommt und das Gute alleine Gnade Gottes ist. Von sich aus sind die Menschen praktisch Gefangene des Bösen, in ihrem eigenen Tun und in den gesellschaftlichen Strukturen, in denen sie leben müssen. Das Böse hat für Paulus auch überpersönliche Qualität und wirkt sich in den ungerechten und unterdrückerischen Strukturen des Römischen Reich aus. Das Imperium Romanum – so sein lateinischer Name – sieht er als System, das sich zwar den Anschein gibt, Beschützer und Befrieder der Provinzen zu sein, das aber damit nur seine innere Ungerechtigkeit verbirgt, der man sich unmöglich entgegenstellen kann. So sind die Menschen Opfer und Täter zugleich. Da jedoch das Römische Reich nicht der erste und nicht der einzige Fall von Beherrschung ganzer Völker ist, den die Menschheit erfahren musste, überlegt Paulus, dass es etwas Tieferes im Inneren des Menschen geben muss, das ihn Ungerechtigkeit ausüben und sich darin verstricken lässt. Vor dieser inneren "Triebfeder" zum Bösen will uns Paulus warnen.

 

Das Böse mit Gutem überwinden, das nehme ich mir gerne vor. Aber warum gibt es überhaupt das Böse? Wenn Ihnen die Frage zu altmodisch klingt, formuliere ich sie um: Warum lässt Gott das Böse zu, so haben Generationen von Christen gefragt – wie würde die moderne Theologie den Kern dieser Frage aufnehmen?

Es klang eben schon an: Mit Paulus könnte man antworten, dass Gott selbst die Menschen dem Bösen ausliefert, um sein Erbarmen und seine Gnade zu erweisen; um den Menschen deutlich zu machen, dass sie allein auf Gott angewiesen sind, dass nur die Hingabe im Glauben sie zum Guten führen kann. Die moderne Theologie widerspricht dem an vielen Stellen, weil Gott in dieser Antwort als sadistisch erscheinen kann und sie doch nur wieder zu der neuen Frage führt: ja, aber warum braucht Gott denn dieses Vorgehen… So viele Generationen von Menschen auch diese Frage gestellt haben – selbstverständlich auch in anderen Religionen – so wenig wurde je eine befriedigende Antwort auf diese Frage gefunden. Letztendlich bleibt das Böse eine dunkle Seite Gottes, die sich unserem Verstehen entzieht. Gottes Wege sind und bleiben geheimnisvoll, und für uns Menschen ist Fakt, dass wir dem Bösen ausgesetzt sind – in uns selber und um uns herum. Damit müssen wir leben. Damit müssen wir klarkommen. Was gefragt ist, ist unsere Entscheidung und unser Handeln. Deshalb endet der Brief des Paulus an die Gemeinde in Rom in den letzten Kapiteln, aus denen auch unsere Jahreslosung stammt, mit Ermahnungen, klaren, griffigen Handlungsaufforderungen, an denen wir uns als Menschen orientieren können. Die Kraft, sich für das Gute zu entscheiden, ist Gnade, Geschenk, fließt sozusagen aus der Hingabe an Gott. Und dann steht Gott nicht mehr daneben oder darüber und schaut zu, sondern Gott ereignet sich im Guten. Gott ist da, wo Menschen einander begegnen, wo sich Beziehung ereignet – Gott in Beziehung. Alles andere bleibt letztendlich fruchtlose Grübelei. Paulus sagt: Ihr dürft hoffen. Seid gewiss, denn Gott wird die Menschen und diese Welt verwandeln. Bei aller scheinbaren Übermacht des Bösen, ereignet sich das Gute – überall – im Kleinen wie im Großen. Darauf sollen wir schauen. Durch gelebte Beispiele können wir uns ermutigen lassen, im persönlichen wie im politischen Leben.

 

Die Liebe und die Freundlichkeit überwindet das Böse, so könnte man sagen. Aber was ist, wenn mein Gegenüber das bessere Argument bewusst leugnet, wenn er (oder sie) nicht "gut" sein will? Wie verhalte ich mich dann, wenn ich der Jahreslosung folgen will?

Indem ich trotzdem an Liebe und Freundlichkeit festhalte. Besser gefällt mir dabei allerdings das Wort Achtsamkeit. Denn wenn ich diesen Weg gehe – und ich bin davon überzeugt, dass es keinen anderen Weg gibt, das Böse zu überwinden – gerate ich auch an Grenzen. Zu einer Beziehung gehören immer zwei. Wenn mein Gegenüber "nicht gut sein will", sich meinem Friedensangebot vollständig verschließt, dann muss ich mich distanzieren. Und mir begegnen ja auch Menschen, bei denen mir die Begegnung äußerst schwer fällt. Das alles ist menschlich. Aber die Frage dabei ist, mit welcher Grundhaltung sehe ich auf Menschen, mit denen eine Begegnung (zumindest im Moment) ausgeschlossen ist. Kann ich immer noch denken, dass Gott diesen Menschen auch liebt oder verschließe ich mich auch diesem Gedanken. Wenn das der Fall ist, ist es gut, sich an die Jahreslosung zu erinnern.

 

Lassen Sie uns das ganze noch einmal historisch wenden. In dem Kapitel, dem die Losung entnommen ist, fallen die Mahnungen, geradezu Beschwörungen des Apostels an die Brüderlichkeit und die Solidarität der Brüder und Schwestern auf. Er mahnt die Gleichheit im Glauben an, ich vermute, weil sich die antike Klassengesellschaft in dem nicht mehr ganz so jungen neuen Glauben immer mehr bemerkbar machte. Was ist der genaue historische Ort dieses (von der Forschung übrigens als authentisch angesehenen) Paulusbriefes? Was war damals los, worüber wurde in der römischen Gemeinden diskutiert?

Es gab für Paulus und die Gemeinde in Rom, die er übrigens nie persönlich kennen gelernt hat, zwei Hauptlinien der Auseinandersetzung. Die eine war das Verhältnis zum römischen Staat und der Ungleichheit und Ungerechtigkeit in der antiken Klassengesellschaft im Römischen Reich, wie Sie selbst es gerade formuliert haben. Dem setzt Paulus mit einer alten Taufformel in Galater 3,28 (Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freie, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.) die grundsätzliche Gleichwertigkeit aller Menschen entgegen. Wie schon bei Jesus wird diese Botschaft auch in jener Zeit wohl von den Machthabern noch als derart bedrohlich empfunden, dass Paulus später in Rom dafür hingerichtet wird. Die andere Konfliktlinie ist die innerjüdische Auseinandersetzung, die sich um die Frage kristallisiert: muss man Jude sein oder werden, um Jesus nachzufolgen oder kann man sich direkt zu Jesus bekennen. In dieser Auseinandersetzung vertritt Paulus klar den Standpunkt, dass die Bekehrung zu Jesus und die "neue" Lehre unmittelbar möglich ist. Die Gnade Gottes steht allen Menschen offen, die an Gott glauben. Man muss nicht erst die Tora, die heiligen Schriften der Juden, studieren und die Gesetze einhalten, um Gott recht zu sein. Selbst ehemals strenggläubiger Jude, verwendet Paulus jedoch viel argumentative Mühe darauf, um zu zeigen, dass die jüdischen Schriften und Gesetze zwar nicht mehr heilsnotwenig sind, aber dennoch ihre Bedeutung behalten.

 

Eine so lang vergangene Zeit, und dennoch sprechen uns die Worte unmittelbar an. Was glauben Sie, woran das liegt?

Ich denke, das liegt daran, dass die Konfrontation mit dem Bösen in uns und um uns herum uns Menschen heute genauso beschäftigt wie damals. Und uns immer wieder für das Gute zu entscheiden, aus einem Vertrauen heraus, das bei vielen Menschen sehr tief geht, ist heute wie damals eine starke Herausforderung.

 

Welche Erfahrungen haben Sie gemacht: wie reagieren die Menschen auf den Inhalt der Jahreslosung?

Das Jahr ist noch jung. So viele Gelegenheiten zum Gespräch über die Jahreslosung haben sich noch nicht ergeben. Aber da, wo ich es erlebt habe, waren den Gesprächpartnerinnen und Gesprächspartnern Vorbilder wichtig – Menschen, die sehr konsequent in ihrem eigenen Leben das Böse mit Gutem überwunden haben wie Nelson Mandela, der nach fast dreißigjähriger Haft im Stande war, seinen Peinigern zu vergeben und eine Politik der Versöhnung zu praktizieren. Ich denke auch an die unzähligen Menschen, die sich in Organisationen wie z. B. "Greenpeace" oder "Ärzte ohne Grenzen" engagieren. Ich denke aber auch an die vielen Menschen in unserer Gemeinde, die für ihre pflegebedürftigen Angehörigen da sind oder einander beistehen, wenn sich im Leben der Nachbarin oder Kirchenvorstandskollegin oder Verwandten etwas Schlimmes und Schweres ereignet. Dann füreinander da zu sein ist für viele Menschen in unserem unmittelbaren Umfeld selbstverständlich. Das heißt für mich ganz konkret: das Böse mit Gutem überwinden.

 

Die Fragen stellte Oliver Ramonat, Frankfurt/M.
© 2011

 

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Wie sehen Sie die Kirche in der Stadt, Herr Dietrich-Zender?

Kirche in der Stadt: Evangelische Kirche in Frankfurt am Main

Ein Gespräch mit Pfarrer Rainer Dietrich-Zender

 

Sehr geehrter Herr Pfarrer Dietrich-Zender. EKD, EKHN, Regionalverband, Dekanat Nord – mir schwirrt der Kopf, dabei bin ich sicher, ich habe noch einige wesentliche Organisationseinheiten vergessen … Kann man die Struktur der Evangelischen Kirche in Frankfurt dennoch mit wenigen Sätzen charakterisieren?

Die EKD ist der Zusammenschluss der selbständigen evangelischen Landeskirchen in Deutschland. Die Entscheidungen, die auf EKD-Ebene getroffen werden, müssen immer erst auf landeskirchlicher Ebene übernommen werden.

Unsere Landeskirche ist die Evangelische Kirche von Hessen und Nassau.

Im Rahmen der staatlichen Gesetzgebung gibt sich jede Landeskirche ihre eigenen Gesetze. In unserer hessen-nassauischen Kirche sehen diese Gesetze eine hohe Selbständigkeit der einzelnen Kirchengemeinden vor. Was typisch protestantisch ist.

Diese Gemeinden bilden die Basis unserer Kirche. Zwischen der Basis und den leitenden Organen unserer Kirche befindet sich die sogenannte Mittlere Ebene. Das sind eigentlich die Dekanate.

Das Dekanat soll die Kirche in der Region sichtbar machen und organisieren.

Die Landeskirche hat ein hohes Interesse daran, diese mittlere Ebene zu stärken, weil gerade sie näher an der Basis dran ist. So wird etwa die konkrete Pfarrstellenverteilung ein Aufgabenbereich der Dekanate. Das ist aber eine neue Entwicklung. Vor 20 Jahren spottete man über die Dekanate, sie seien in unserer Kirche die organisierte Belanglosigkeit.

Von hier aus lässt sich die Besonderheit des Evangelischen Regionalverbandes verstehen.

Die meisten Frankfurter Kirchengemeinden haben sich zu diesem Verband zusammengeschlossen. Er ermöglicht beispielsweise Gemeindegründungen. Ohne ihn gäbe es weder die Gemeinden in der Nordweststadt noch die Gemeinde auf dem Riedberg in der jetzigen Form. Er bildet heute in Frankfurt gemeinsam mit den Dekanaten die mittlere Ebene.

 

Ist unsere Kirche mit dieser Struktur für die Herausforderungen unserer Zeit gerüstet?

Ich glaube nicht. Wir brauchen eine bessere Verzahnung der Dekanate und des Evangelischen Regionalverbandes in Frankfurt. Daran wird unter dem Titel "Stadtdekanat" gearbeitet.

Außerdem brauchen wir Veränderungen auf der Ebene der Zusammenarbeit von Gemeinden.

 

Welches sind diese Herausforderungen aus Ihrer Sicht?

Unter dem Stichwort Stadtdekanat: wir brauchen ein Parlament und einen Magistrat für das evangelische Frankfurt. Im Kirchendeutsch hießt das: eine Synode und einen Synodalvorstand als diejenigen Orte, an denen der Rahmen für die kirchliche Entwicklung in unserer Stadt gestaltet wird.

Unter dem Stichwort "Zusammenarbeit der Gemeinden" sehe ich noch größere, konkretere Herausforderungen. Wir haben dafür Planungsbezirke eingerichtet. Im Moment haben wir da nur ein zusätzliches Gremium geschaffen, in dem Dinge verabredet werden, die dann erst mal wieder in jeden Kirchenvorstand zurückgetragen und entschieden werden müssen. Wenn dann ein Kirchenvorstand nicht mitspielt, fängt die Suche nach einem neuen Kompromiss an. Das kostet Zeit und Nerven. Das kann zum Beispiel die gemeindepädagogische Arbeit im Planungsbezirk blockieren.

 

Gibt es denn dafür Lösungen?

Ja. Die Planungsbezirkstreffen müssen die Möglichkeit zu verbindlichen Absprachen und Entscheidungen bekommen. Wir bräuchten klare Definitionen: was wird auf dieser Ebene geregelt, welche Entscheidungskompetenzen werden aus den Gemeinden dahin delegiert. Dazu bräuchten wir nur gesetzliche Grundlagen, die es in anderen Landeskirchen – z. B. der Mitteldeutschen – unter dem Stichwort "Kirchspiel" gibt.

 

Das hört sich alles sehr verwaltungstechnisch an…

Ja, es geht um Strukturen, die kirchliches Leben ermöglichen. Das wird nicht einfacher, wenn die Pfarrstellen in Frankfurt bis 2025 um mindestens 25%, vielleicht sogar 45% reduziert werden.

Die Energie, die wir in Strukturveränderungen setzen, sollte aber nicht auf Kosten der gestalterischen Energie vor Ort gehen: Gottesdienste, die berühren, eine Konfirmandenarbeit, die Interesse am christlichen Glauben weckt und vieles mehr.

Deshalb müssen wir in absehbarer Zeit zu Entscheidungen kommen, wie unsere Kirche 2025 auszusehen hat. Sonst verlieren wir uns in Abwehrschlachten, einem Schrecken ohne Ende.

 

Also eher ein Ende mit Schrecken wie in der katholischen Kirche, die ja die Zahl ihrer Frankfurter Gemeinden bis 2025 auf sieben reduzieren will?

Das wird es in der evangelischen Kirche nicht geben! So sinnvoll die eine oder andere Gemeindefusion in Frankfurt noch sein kann, die Entscheidung hierfür liegt bei den jeweiligen Gemeinden. Dennoch: wir müssen die Frage beantworten, wie die Gemeinden und die pfarramtliche Arbeit in Zukunft zu organisieren sind. Ein "Weiter-so" halte ich für nicht vorstellbar.

 

Welche besonderen Bedingungen spüren Sie in einer Stadt wie Frankfurt am Main?

Frankfurt ist schneller und bunter als der Rest des Rhein-Main Gebietes. Es ist ein wesentliches Zentrum des Lebensraumes Rhein-Main. Nach Frankfurt kommt man zum Arbeiten, zum Einkaufen, zum Verreisen, ins Krankenhaus oder ins Theater usw.

Frankfurt hat ein riesiges kulturelles und auch religiöses Angebot. Hier gilt es als evangelische Kirche Flagge zu zeigen und Gottes Zuspruch zu vermitteln. Unseren christlichen Glauben konkret werden lassen: Nicht nach den Kriterien des Marktes "Größer, Schneller, Weiter …", sondern nach evangelischen Ansprüchen: "Hier bist Du willkommen so wie Du bist. Wir sind füreinander da und erwarten nicht, dass Du fehler- und makellos bist." Dafür bietet unsere Kirche gerade durch die übergemeindliche Dienste mehr Orte, als uns vielleicht bewusst ist.

 

Frankfurt ist ja nicht zuletzt durch seine vielen, untereinander sehr verschiedenen Stadtteile geprägt. Wenn Sie mit Ihren Kolleginnen und Kollegen ins Gespräch kommen: wo liegen die Unterschiede? Was ändert sich, wenn man von Heddernheim z. B. ins Westend oder nach Sachsenhausen geht?

Sie treffen auf unterschiedliche Milieus und Kulturen. Heddernheim war einmal eine Arbeitersiedlung, inzwischen ist es ein attraktiver Familienwohnort in Frankfurt. Sicherlich hat das Westend eine andere groß- und bildungsbürgerliche Prägung. Da stehen andere Autos vor der Tür … Mit Verallgemeinerungen möchte ich dennoch vorsichtig sein. Vieles was auf den ersten Blick den Unterschied markiert, ist bei genauerem Hinsehen gar nicht so unterschiedlich und anderes, was auf den ersten Blick gleich scheint, ist ganz anders.

 

Wenn Sie drei Wünsche frei hätten – was wünschen Sie sich für die Evangelische Kirche in Frankfurt?

1. Öfter zu hören: Was, du warst am Sonntag nicht im Gottesdienst? Schade, da hast Du was verpasst….

2. Öfter zu hören: Toll, dass wir den Menschen in der Stadt ohne Ansehen der Person so vielfältig helfen können.

3. Kirchliche Strukturen, die tragfähig sind: ich stelle mir vor 10 Jahre lang keine Strukturdebatten mehr führen zu müssen …

Die Fragen stellte Oliver Ramonat
© 2011

 

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Warum Bach, Frau Neuwirth?

Johann Sebastian Bach, Goldberg Variationen BWV 988 (1741)


Für eine größere Ansicht bitte mit der Maus über das Bild fahren.
Ein Gespräch mit der Frankfurter Pianistin Cornelia Neuwirth
aus Anlass ihres Konzertes am 14. November 2010 im Gemeindehaus der St. Thomasgemeinde

 

Sehr geehrte Frau Neuwirth, die Goldberg Variationen sind ein Hauptwerk des Barock, ein Hauptwerk Bachs – Weltliteratur für das Klavier sozusagen. Mit welchen Gefühlen begegnen Sie diesem Werk?

Wie in jedem musikalischen Haushalt befand sich auch bei uns zu Hause die CD mit der Einspielung von Glenn Gould – so hörte ich die Goldberg-Variationen schon als kleines Kind. Einen nachhaltigen Eindruck hatte jedoch erst eine Aufführung während meiner Studienzeit bei mir hinterlassen. Bei einem Klavierabend in der Frankfurter Hochschule spielte eine Kommilitonin von mir diesen Zyklus – und seitdem wusste ich, dass ich dieses Werk irgendwann spielen werde. Dieser Vortrag hatte mich so mitgerissen und „angerührt“, fortan hatte ich das Werk ins Herz geschlossen.

 

Ist das Konzert jetzt in der St. Thomasgemeinde Ihre erste Beschäftigung mit diesem komplexen Werk?

Nach meinem Studium spielte ich die eine oder andere Variation für mich und unterrichtete auch einige davon. Vor gut einem Jahr begann ich dann, den gesamten Zyklus zu erlernen und mich auf die Suche nach Veranstaltern zu machen – was im übrigen nicht einfach ist mit einem reinen Bach-Programm. Ich hörte als Antwort auf meine Anfrage häufig genug Aussagen wie „das können wir unserem Publikum nicht zumuten“, dieses Programm sei „zu schwierige Kost“ etc. Ich kann mit solchen Zuschreibungen wenig anfangen.

 

Wie genau üben Sie ein solches Stück ein? Welche Schritte gehen Sie?

Ich übe dieses Stück wie jedes andere auch: in kleinen Schritten muss jede einzelne Variation erlernt werden, später können größere Abschnitte gewählt werden, bis dahin, dass man schließlich den gesamten Zyklus „durchspielen lernen“ muss, was bei diesem Werk ganz klar eine Frage der Kondition ist – im Kopf genauso wie in den Fingern.

 

Die Variationen sind ursprünglich für das Cembalo geschrieben worden, ein Instrument, das keine dynamischen Differenzen, also Abwechslung in der Lautstärke, zulässt. Beeinflusst diese Tatsache Ihre Deutung am Klavier?

Nein, absolut nicht. Wenn ich den Anspruch auf eine rein historische Interpretation hätte, würde ich auch auf dem Cembalo spielen.

 

Glenn Gould – dieser Name muss fallen, wenn es um die Goldberg Variationen geht – hat in seiner ersten Einspielung die dynamischen und rhythmischen Möglichkeiten des modernen Flügels ausgeschöpft. Wie stehen Sie zu Goulds, oder überhaupt zu einer solchen ausdrucksstarken Interpretation?

Ich finde, ein Pianist – oder eine Pianistin – sollte die Möglichkeiten seines Instrumentes völlig ausschöpfen. Es gibt so viele wunderbare, klangliche Möglichkeiten des modernen Konzertflügels! Man dient keiner Musik – sei es Barock, Klassik, Romantik oder Moderne – damit, dass man die Möglichkeiten eines Instrumentes nur aus historischen Überlegungen heraus nicht ausnutzt. Bachs Musik hat meiner Meinung nach einen absoluten, musikalisch-geistigen Wert, den ich genauso gut auf einem modernen Flügel zeigen kann. Seine Kompositionen sind also keineswegs an ein bestimmtes Instrument gebunden – das hieße ja, dass es überhaupt ein Frevel wäre, wenn Pianisten auf einem modernen Instrument sich dieses Werkes annehmen. – Noch ein Wort zu Glenn Gould: seine Aufnahmen sind auf jeden Fall genial, aber nicht meine Art zu spielen.

 

Welche anderen Deutungen haben Sie inspiriert – und warum?

2010 ist eine wunderbare Einspielung von Andreas Staier erschienen – auf dem Cembalo übrigens (bei Harmonia Mundi). Diese Aufnahme hat mich auf jeden Fall inspiriert, was „barocken Gestus“ und Agogik anbelangt.

 

Die Frage ist sicher nicht leicht zu beantworten – aber warum sollte man sich das Stück heute noch anhören?

Schade, dass es diese Frage immer wieder gibt, nicht nur in Bezug auf Bach… Die Musik der großen klassischen Komponisten hat doch einen überzeitlichen Wert, sie spricht uns an, sie spricht genauso von der Vergangenheit wie von ganz gegenwärtigen Empfindungen und Gefühlen. Gerade in den Goldberg-Variationen ist die „ganze Palette“ von Freude bis Leid enthalten. Sie zu spielen ist fast wie eine Therapie, sie zu hören vielleicht auch… Wahrscheinlich ist sie immerhin, wie der Bachschüler und Bachbiograph Johann Nikolaus Forkel angibt, aus diesem Anlass komponiert worden: um nämlich den Grafen Herman Carl von Keyserling in seinen schlaflosen Nächten zu erheitern durch seinen Hauscembalisten Johann Theophilus Goldberg, dessen Namen die Variationen deswegen auch tragen. Die Geschichte ist allerdings nicht wirklich verbürgt.

 

Was glauben Sie, warum hat Bachs Musik ‚überlebt’, während diejenige von Dutzenden seiner Zeitgenossen für immer vergessen ist?

Es ist wie mit allen großen Komponisten: bei Ihnen paaren sich geniale Kompositionstechnik und Ausdrucksstärke Ihrer Musik, so dass wir auch heute noch davon unmittelbar angesprochen werden.

 

Was sagen Ihre Kinder zu dieser Musik?

Als ich einmal die Goldberg-Variationen zu Hause spielte, sagte unsere älteste Tochter (sie ist 8 Jahre alt): „Mama, du spielst immer so schöne Musik...“

Die Fragen stellte Oliver Ramonat
© 2010

 

Losung des Tages